Meine Rede zur Ukraine Kundgebung in Heidenheim

… anlässlich des Jahrestages des russischen Angriffskrieges in der Ukraine

„Ein Jahr dauert dieser absolute Irrsinn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine jetzt. Ich bin noch immer fassungslos über einen derart brutalen Affront gegen das Völkerrecht. Vor einem Jahr hätte ich einen so rückwärtsgewandten Krieg nicht für möglich gehalten. Nicht im 21. Jahrhundert. 

Die Schüsse fallen hunderte Kilometer entfernt. Die »Einschläge« spüren wir hier. Die Krisen sind hier. Menschen, die unmittelbar leiden, sind hier. 

Der brutale Überfall auf die Ukraine hat eine Zeitenwende in Europa ausgelöst. Die Folgen und die Sorgen zwingen auch Heidenheim in die Knie, unsere Betriebe, unsere Mitmenschen — jeden Tag. 

Wie sieht grüner Pazifismus heute aus?

Wir wollen alle Frieden. Ausser Putin. Doch Frieden setzt voraus, das Menschen nicht vertrieben, dass Menschen nicht ermordet, dass Frauen nicht vergewaltigt werden. 

Wie soll grüner Pazifismus inmitten dieser wahnsinnigen Zeitenwende also aussehen? Die Grünen sind schon lange nicht mehr Protestpartei. In Berlin und in Baden-Württemberg in der Regierung zu sein, ist ein Privileg, das mit völlig anderen Verantwortungen einhergeht, als in Opposition zu gehen. Wir stehen mit einem politischen Erbe da, das die EU in einen Krieg hineinziehen könnte. 

Wenn einer meint, er könnte eine Position einnehmen, die unschuldig wäre, dann müssen wir die Alternative durchdenken. Wenn Russland mit dem Eroberungskrieg davonkommt, wäre das ein gefährliches Signal in der ganzen Welt. Wenn Putin beweisen kann, dass Eroberungskriege erfolgreich führbar sind, droht eine Militarisierung global. Es wäre ein Rückfall in eine Welt, in der nicht internationales Recht gilt, sondern das Recht des Stärkeren. Und das in einer Zeit, in der wir wegen der Klimakrise dringend weltweit vertrauensvoll zusammenarbeiten müssen.

Putin wird nicht aufhören. Er hat noch viele Panzer und noch viele Soldaten, Menschenleben zählen in seiner Welt nichts. Auch wenn Putin kein NATO-Land angreift: Je länger der Krieg dauert, desto größer wird die Gefahr, dass eine Rakete oder ein Marschflugkörper ihr Ziel verfehlt und auf NATO-Gebiet einschlägt. Und dann? 

Wenn wir uns auf unsere deutsche Geschichte beziehen wenn wir rassistische Übergriffe und Neonazismus verurteilen, wenn wir innenpolitisch immer dieses Argument verwendet haben, wie können wir diese Erinnerung ausblenden, wenn Vertreibung und völkerrechtswidrige Kriegsführung in Europa wieder Einzug halten?

Putin stoppen und Ukraine unterstützen ohne selbst Kriegspartei zu werden

Ein wichtiges Ziel ist jetzt für uns, selbst nicht Kriegspartei zu werden. Diese Grenze müssen wir bei allen Entscheidungen mit Bedacht wahren.

Wir haben an die Humanität geglaubt. Hätten wir stattdessen gleich Putin glauben sollen, als er bereits 2007 auf der Münchner Sicherheitskonferenz angekündigt hat, er will Russland wieder zu einem Großrussischen Reich machen? Die Ziele Russlands sind weit entfernt von dem, worauf eine demokratische Ukraine hofft: Handel, intakte Natur, das Wohlergehen der eigenen Bürgerinnen und Bürger. In Russland dominiert imperialistisches Denken. Das Schicksal Einzelner spielt keine Rolle.

Putin will in die Geschichte eingehen, als der Mann, der wiederherstellt, was mit dem Ende der Sowjetunion aufgegeben wurde. Doch diesen Plan hätte er mit einer Eroberung oder Teileroberung der Ukraine nicht erreicht – die nächsten Ziele könnten Georgien oder weitere Teile der Republik Moldau sein. Und dann?

Starke Botschaft an Putin: Er kann nicht siegen, er muss verhandeln

Als Grüner Politiker versuche ich jeden Tag aufs Neue zu verstehen, was jetzt die klügste Handlungsweise ist, in dieser neuen Welt, die sich schockierend plötzlich so grundlegend geändert hat. Ich bin mir bewußt: Was wir heute entscheiden, hat morgen Konsequenzen für unsere Bürgerinnen und Bürger hier vor Ort, für die Menschen in der Ukraine und für das Verhindern eines Weltkriegs. Wir Politikerinnen und Politiker hier in unserem noch friedlichen Baden-Württemberg leben eben nicht in einer Blase — und ich bin mir sicher, das gilt auch für unsere Kolleginnen und Kollegen in Berlin. Wir treffen sehr viele unterschiedliche Menschen, in Zügen, auf Festen, in Unternehmen und manchmal auch in Kriegsgebieten.

Das schwierige momentan: Wir wollen wohlüberlebt agieren, aber uns rennt die Zeit davon. Russland hat es eilig, die Aggression voranzutreiben. Putin weiß, dass die Welt am Ende stärker ist, aber Zeit braucht, ihre Kraft zu entfalten. Deshalb ist Zeit jetzt von entscheidender Bedeutung. Damit die Ukraine nicht von einer Diktatur verschlungen wird. Damit die Menschen dort nicht ihre Selbstbestimmung, ihre Freiheit und das Recht auf ihre Kultur verlieren.

Der unglaubliche Durchhaltewillen und Mut der Ukrainerinnen und Ukrainer muss bis hierher in unsere Reihen spürbar sein. Wir in Heidenheim stehen geschlossen mit anderen Kommunen in Deutschland, in Europa und in den demokratischen Ländern der ganzen Welt. Wir setzen deutliche Zeichen, da dürfen wir heute durchaus laut werden: Putin muss wissen, dass er diesen Krieg nicht gewinnen kann. Erst dann wird er verhandeln.

Ukrainerinnen und Ukrainer im Kriegsgebiet genauso wie heute hier in Heidenheim sehen ihre Zukunft in Europa

Mir ist wichtig, dass wir den Platz der Ukrainerinnen und Ukrainer in unserer europäischen Familie nicht aus dem Blick verlieren. Die Menschen in der Ukraine wie auch die Ukrainerinnen und Ukrainer, die zu uns nach Deutschland, zu uns nach Heidenheim geflüchtet sind, sehen ihre Zukunft in Europa. Sie setzen ihre Hoffnung auf Europa. Auf uns.“