Handwerksbetriebe haben Hilfe nötig

Beim Besuch von innovativen kleinen und mittleren Unternehmen im Wahlkreis Backnang erfahren die grünen Landtagspolitiker Martin Grath und Ralf Nentwich viel über deren schwierige Situation wegen Fachkräftemangel, hohen Energie- und Rohstoffkosten.

Murrhardt / Backnang (pm). Die aktuelle Krisensituation trifft die vielen kleinen und mittleren Handwerksbetriebe auch in unserem Wahlkreis besonders hart: Die immer höheren Energie- und Rohstoffkosten sowie der Fachkräftemangel bedrohen ihre Existenz. Über die konkreten Probleme vor Ort erkundigten sich die beiden grünen Landtagsabgeordneten Ralf Nentwich (Grüne), Sprecher für digitale Bildung und Ernährung, und Martin Grath, Bäckermeister und handwerkspolitischer Sprecher, beim Besuch von einigen traditionsreichen und innovativen Unternehmen in Murrhardt und Backnang.

Martin Grath ist es ein Herzensanliegen, die Situation der Handwerksbetriebe zu verbessern, wobei Lebensmittelhersteller und -verarbeiter mit am härtesten betroffen sind. „Ich kämpfe dafür, dass Unterstützung vom Bund kommt und es auch ein Nothilfeprogramm des Landes gibt für Bäckereien und andere energieintensive Unternehmen, deren Energiekosten drei Prozent des Umsatzes übersteigen, zudem sollte das Land bei Härtefällen intervenieren“, betonte er.

Erste Station war die Rümelinsmühle, einst Kloster-, Loh- und Schleifmühle, wo Müllermeister und Mühlenbauer Hartmut Kugler mit seiner Familie aus verschiedenen Getreidearten mit traditioneller und moderner Mühlentechnik diverse Mehlsorten und -mischungen herstellt. Überraschend groß ist das Angebot im Mühlenlädle, neben Getreideprodukten gibt’s auch regionales Obst und Gemüse. Donnerstags und freitags backt Kugler diverse Brotsorten und Salzkuchen im Backhäuschen, das Mitte der 1980er Jahre von Hinterbüchelberg auf sein Grundstück versetzt wurde.

2006 baute Hartmut Kugler mit Bekannten und Freunden das 3,8 Meter große Wasserrad neu auf, denn Wasserkraft vom Siegelsbach und Trauzenbach, die den Mühlkanal speisen, treibt einen Teil der Mühle umweltfreundlich an, bei zu wenig Wasser schaltet der Müller einen elektrischen Ausgleichsmotor zu. Dafür wurde die Rümelinsmühle 1994 mit dem Kulturlandschaftspreis des Schwäbischen Heimatbundes ausgezeichnet. Doch infolge des Klimawandels und der jüngsten Trockenjahre gebe es nun „viel zu wenig Wasser zum Mahlen“, bedauert Kugler.

Wegen der aktuellen Krise „ist die Zahl der Kunden zurückgegangen“: Die Mehrzahl komme aus der Region, aus Murrhardt hingegen wenige. Nach dem „Run“ auf Bioprodukte in der Pandemie seien die Umsätze wegen der Kaufzurückhaltung der Kunden infolge der hohen Inflation deutlich gesunken. Um das prächtige, 1799 erbaute Mühlengebäude instand zu halten, muss der Müller viel Geld investieren und allerlei Auflagen der Denkmalschutzbehörde einhalten, die zudem die Möglichkeiten für Erneuerungen und Sanierungen stark einschränken.

Nächste Station war die „Schäferwagen-Schmiede“ Firma Holzbau Kirsch in Fornsbach: Dort fertigt ein junges, hochmotiviertes Team seit 2016 in ökologischer Bauweise aus regenerativen Baustoffen und mit Fotovoltaik „Unikate auf Rädern“. So Schäfer- und Zirkuswagen nach historischen Vorbildern, „heiß begehrte“ Saunawagen, Tiny Houses und Mobile Homes in großer Vielfalt, verschiedenen Größen und Ausführungen, teils mit Grasdächern. Sie eignen sich für Personen, die schlichter und flexibler wohnen wollen. Probleme sind indes noch kaum vorhandene Flächen und unterschiedliche Rahmenbedingungen für solche Wagen oder Häuser in den Kommunen.

Auf dem Weg zum nächsten Termin holte sich das Team aromatisch wohlschmeckende schwäbische Laugenbrezeln bei der kleinen, feinen Fornsbacher Bäckerei Pehlke. Schon seit 100 Jahren ist die Firma Eugen Hackenschuh in Backnang Spezialist für innovative Produkte aus Kork, der aus Portugal bezogen und ökologisch verarbeitet wird. Aus dem vielseitigen Material werden diverse Böden, Platten, Dämm- und Wandgestaltungselemente, Taschen, Stoff, Kinderspielgeräte sowie Korken für verschiedene Zwecke gefertigt, zudem hat der Betrieb eine Stromtankstelle.

Zum Schluss ging’s ins 2015 eröffnete Backhaus mit Café der Groß-Bäckerei Mildenberger im Gewerbegebiet Lerchenäcker bei Backnang, wo trotz großem Technik-Einsatz jede Brezel weiterhin von Hand geschlungen wird. Effektiv managen den Betrieb Richard Mildenberger, Geschäftsführer Verwaltung, und sein Bruder Friedrich, Geschäftsführer Produktion, die Vater und Seniorchef Bernd Mildenberger unterstützt. Die Krise sei eine große Herausforderung: Wegen den stark steigenden Energie- und Rohstoffpreisen habe man aktuell etwa 40 Prozent höhere Kosten, so Friedrich Mildenberger.

Die Rohstoffe beziehe man möglichst aus der Region, das Getreide beispielsweise aus Hohenlohe, klimaschonend und ohne Verpackungsmüll transportiere man die Backwaren in die Filialen, in denen Brezeln und Brötchen frisch gebacken werden. Im Backhaus-Neubau spart das Unternehmen bereits so viel Energie wie möglich und nutzt alle Möglichkeiten zur Energie-Effizienz: Die Abwärme der Backöfen wird wiederverwendet, auf dem Dach erzeugt eine Fotovoltaikanlage Strom. Technik und Maschinen sind topmodern, alle Räume erhellen LED-Leuchten.

„Wir werden jeden Stein umdrehen, um Möglichkeiten zu finden, noch effizienter zu arbeiten und noch mehr Energie einzusparen, so bei Kühlung und Lüftung, auch verzichten wir manchmal auf eine Backschicht“, erklärte der Geschäftsführer auf Ralf Nentwichs Nachfrage und bekannte: „Am liebsten würden wir gar nichts wegwerfen“. Um die Lebensmittelverschwendung zu reduzieren, könne man die Retourenquote auch dank Umdenken und besseren Strategien des Handels noch verbessern. Seit Jahren unterstützt die Bäckerei die Tafeln, verwendet Reste von Backwaren zum Teil wieder als Weckmehl oder liefert sie an Futtermittelhersteller.

Als Strategie zur Gewinnung von Fachkräften und Nachfolgern für Handwerksbetriebe schlug Seniorchef Bernd Mildenberger vor, Eltern und Grundschullehrer besser über die Berufschancen im Handwerk zu informieren. Denn 80 Prozent der Schul- und Berufsentscheidungen der Kinder werden von den Eltern beeinflusst. Zudem plädierte er für Prüfungen am Übergang von der Grund- zu weiterführenden Schulen als Nachweis, dass Schüler fit für die gewählte Schulart sind. Ralf Nentwich hob die Bedeutung der Orientierungsstufe hervor und räumte Nachsteuerungsbedarf ein: Die Berufsorientierung müsse auch an Gymnasien in alle Richtungen erfolgen, auch habe er bereits Schüler-Interesse an Handwerksberufe festgestellt.

Die aktuelle Krise sei „schlimmer als die Corona-Pandemie“, findet Familie Mildenberger: Als Gas-Großverbraucher ist ihr Betrieb systemrelevant, doch da das Backhaus im Gewerbegebiet steht, könnten die Stadtwerke Backnang schnell den Gashahn zudrehen. Daher habe man Öltanks als Notreserve bestellt und bereits Energie zu moderaten Preisen eingekauft. Indes könne man nicht mehr so wirtschaftlich arbeiten, auch erwarten die Geschäftsführer ein extrem schwieriges Jahr 2023. Für Handwerksbetriebe „ist jede Hilfe notwendig und eine allgemeine Aufgabe“: Wegen den hohen Kosten können viele kaum mehr arbeiten.

„In der digitalen Welt braucht jede und jeder Entschleunigung, Auszeiten an Begegnungs- und Wohlfühlorten wie in unseren Cafés werden wichtiger“, doch seien Bestell- und Lieferservice bei frischen Backwaren schwierig umzusetzen, so Friedrich Mildenberger im Blick auf die Zukunft. Abschließend bekräftigte Ralf Nentwich die Maxime von Ministerpräsident Winfried Kretschmann: „Ökologie und Ökonomie muss man immer zusammendenken, beide sollten im Gleichgewicht sein“.