Progressive Zimmereigenossenschaft meistert aktuelle Herausforderungen des Handwerks

Markus Wolf (re.), Vorstand der als Genossenschaft geführten Zimmerei Grünspecht in Freiburg, und der Handwerkspolitische Sprecher der Grünen Landtagsfraktion Martin Grath tauschen sich in Stuttgart über positive Lösungsansätze für den Fachkräftemangel im Handwerk aus.

Text: Sandra Henderson

Mit alternativen Arbeitszeitmodellen und spannenden nachhaltigen Projekten schafft die als Genossenschaft geführte Zimmerei Grünspecht in Freiburg eine neue Arbeitswelt, in der die nachkommende Genration und gute Fachkräfte wirklich arbeiten wollen. Jetzt sprach der handwerkspolitischer Sprecher der Grünen Landtagsfraktion in Baden-Württemberg, Martin Grath, in seinem Stuttgarter Abgeordneten Büro mit Vorstand Markus Wolf über Lösungsansätze für eine starke Zukunft des Handwerks im Land. 

„Richtungsweisende Betriebe wie die Zimmerei Grünspecht, wo Leute eigenhändig mutige Lösungen finden, sind für die Zukunft des Handwerks und unserer Gesellschaft von großer Bedeutung“, so Grath, der sich für seine politische Arbeit regelmäßig Impule aus Best-Practice-Exempeln wie diesem holt.

Qualifizierte Fachkräfte wollen zu Grünspecht

Die Handwerksbranche kämpft bundesweit mit einem eklatanten Fachkräftemangel. Die Zimmerei Grünspecht, Vorreiter in ökologischem Bauen und nachhaltiger Unternehmensführung, beweist, dass es auch anders gehen kann. Dank eines außergewöhnlichen Betriebsklimas und einer starken Ausrichtung auf Nachhaltigkeit und Teamarbeit zieht der Betrieb qualifizierte Fachkräfte an. Mehr noch, mit Hilfe eines Coachings von außen trainiert das Team seit einem Jahr aktiv eine gute interne Feedback-Kultur. „Die Genossenschaft ist aus meiner Sicht die betriebliche Form für maximale Teamarbeit und das Verständnis dafür. Meine Leute arbeiten nicht für mich, wir arbeiten wir für uns“, erklärt der Geschäftsführer und vertieft: „Bei uns wird viel gelacht und wir verbringen unsere Pausen miteinander. Gemeinsam Essen ist etwas sehr Soziales und schafft Begegnung.“ 

Neue Arbeitswelt mit Sinn und kreativer Arbeitszeitgestaltung

In Zeiten, in denen die jüngere Generation verstärkt Wert auf Sinnhaftigkeit und eine menschliche Arbeitswelt legt, setzt die Zimmerei Grünspecht bereits Maßstäbe. Flexible Arbeitszeitmodelle, Teilzeitangebote und die Möglichkeit, remote zu arbeiten sind nur einige Aspekte, die den Betrieb auszeichnen. Die genossenschaftliche Struktur fördert zudem ein starkes Wir-Gefühl und ermöglicht es den Mitarbeitern, ihr volles Potenzial zu entfalten. „Ich beobachte gern, wie neue Kolleginnen und Kollegen hier mit der Zeit richtig aufblühen,“ erzählt Wolf. Selbst Kunden bemerkten den wertschätzenden Umgang miteinander. „Eine Gruppe braucht auch immer die Fähigkeit zu Kompromissen. Man muss andere Meinungen oder auch Entscheidungen aushalten. Das Zusammenstehen in schweren Zeiten, das gemeinsame Beraten und das sich gegenseitig stützen sind nicht mit Geld zu bezahlen.“

Wie andere achtsame Arbeitgeber, spürt Wolf bei jüngeren Generationen einen Trend: Der Arbeit wird in heutigen Lebensentwürfen weniger Raum im Leben eingeräumt. Die Familienväter und -mütter in seinem Betrieb brauchen verschiedene Arbeitszeitkonzepte und Teilzeitangebote, um Familie, Arbeit und persönliche Freiräume unter einen Hut zu bringen. Grünspecht hat mit Erfolg eine neue Arbeitswelt geschaffen, in der das möglich ist, etwa mit „Doppelspitzen“ zur Baustellenführung, kreativen digitalen Hilfsmitteln und soliden Strukturen, um Informationen und deren Verwaltung neu zu organisieren. Materieller Besitz und Geld seien neuen Prioritäten gewichen. „Planetare Grenzen rücken mehr und mehr ins Bewusstsein“, sagt Wolf. „Weniger ist mehr – planetar wie persönlich.“

Nachhaltigkeit und Ökologie – Kern der Unternehmensphilosophie

Grünspecht steht für ökologisches und nachhaltiges Bauen. Mit der Verwendung von natürlichen Materialien wie Holz, Stroh und Lehm trägt der Betrieb aktiv zum baulichen Klimaschutz bei. Diese Philosophie zieht nicht nur Kunden, sondern auch Nachwuchs und qualifizierte Fachkräfte an, die eine sinnstiftende Tätigkeit suchen. „Ökologisches, nachhaltiges, innovatives Denken vereint uns alle in allen Altersklassen“, so Wolf. „Gerade unsere Materialien wie Holz, Stroh und Lehm sind wunderbar und ziehen neben Kunden auch Fachkräfte an, die gern damit arbeiten wollen. Und ja, der Lohn ist oft nicht der wichtigste Grund, um bei uns anzuheuern.“

Herausforderungen und Transformation im Handwerk

Wie viele Handwerksbetriebe, sieht die Zimmerei Grünspecht, die in diesem Jahr ihr 40-jähriges Jubiläum feiert, gerade vielschichtigen Herausforderungen ins Auge: Strenge Regulierungen und Zertifizierungen erschweren den Zugang zu Fördermitteln. Ständig wechselnde Förderprogramme rauben Planungssicherheit. Zudem passen bestehende Tarife und Arbeitsschutzgesetze nicht zu modernen Arbeitszeitmodellen, was die Umsetzung innovativer Arbeitskonzepte behindert. Die hohen Kosten nachhaltigen Bauens machen es zusätzlich schwer, handwerkliche Qualität und ökologische Materialien breit einzusetzen.

Die Transformation im Handwerk nimmt der progressive Betrieb aktiv in Angriff, indem er digitale und innovative Lösungen in seine Prozesse integriert. In der Arbeit mit Holz an sich fährt Grünspecht eher einen „Low-Tech-Ansatz“. Wolf beobachte in der Holzbaubranche große Investitionen in Automatisierung und Fabrikationsanlagen. „Die Übergänge vom Handwerksbetrieb zum industriellen Player werden da fließend, die Arbeitsplätze werden dadurch aber eher eintöniger“, stellt er fest. „Da wir viele wirklich gute und flexible Fachkräfte und Allrounder beschäftigen, sehen wir unsere Nische daher woanders.“

Die genossenschaftliche Organisation und die Kultur der Zusammenarbeit sind dabei Schlüsselfaktoren für den Erfolg. „Wir sind es gewohnt, dass jeder im Rahmen seiner Stelle viel Selbstverantwortung übernimmt und zum Wohle der Kunden, des Teams und des Unternehmens denkt und handelt“, sagt Wolf. 

„Unsere Ausrichtung und Struktur scheinen optimal für einige der anstehenden Aufgaben und Herausforderungen, die man mit dem logischen Verstand des Handwerkers erkennen kann“, erklärt er. Es brauche eine große Bereitschaft zur Reduktion in allen Bereichen, wenn Klimaziele und mehr materielle Gerechtigkeit und Umverteilung gelingen sollen. „Manchmal würde ich Managern und Unternehmern gern zeigen, wie groß die Lebensqualität in einer funktionierenden Genossenschaft ist. Menschen rücken zusammen und teilen, wenn es eng wird,“ sagt der gebürtige Erfurter, der bis zur Wende mit Sozialismus großwurde.

Nachfolge im Handwerk – Ein Beispiel für gelungenen Generationswechsel

Die Frage der Nachfolge wird in naher Zukunft für Tausende von Handwerksbetrieben ein schier unlösbar scheinendes Problem darstellen. Grünspecht hat diesen Prozess bereits erfolgreich gemeistert und zeigt, dass eine genossenschaftliche Struktur den Übergang erleichtern kann. „Eine Genossenschaft ermöglicht einen fließenden Generationswechsel ohne die Notwendigkeit großer Kredite“, erklärt der Geschäftsführer.

„Eine Genossenschaft ermöglicht einen fließenden Generationswechsel ohne die Notwendigkeit großer Kredite.“  

Markus Wolf, Zimmermeister und Vorstand, Zimmerei Grünspecht

Der Entwicklung hin zu Aufkäufen von kleingliedrigen Firmenstrukturen durch Investoren und große Betriebe hingegen sehe er mir flauem Bauchgefühl zu. „Das führt auch weg von den handwerklichen Strukturen, die aus meiner Sicht für eine Gesellschaft wichtig sind“, sagt Wolf.

Ausblick und Einladung zum Dialog

In seiner politischen Arbeit sucht MdL Martin Grath regelmäßig den offenen Dialog über die aktuellen Herausforderungen – mit Handwerkern, den Innungen und Kammern sowie unterschiedlichen Experten. Deshalb plant der handwerkspolitische Sprecher noch in diesem Jahr seinen Gegenbesuch in Freiburg, um Markus Wolf und sein Team in Action erleben zu können.

Die Zimmerei Grünspecht steht als richtungsweisendes Beispiel dafür, wie ein Handwerksbetrieb mit einer klaren Vision, nachhaltigen Werten und einer starken Gemeinschaft nicht nur wirtschaftlich erfolgreich sein, sondern auch einen wertvollen Beitrag zum gesellschaftlichen Wandel leisten kann. „Jeder Mensch kommt ja mit anderen Fähigkeiten, Begabungen, Stärken und Schwächen daher. Lebensumstände sind sehr verschieden“, schließt Wolf ab. „Der Schwarm der Spechte schafft es, Vieles unter den Hut zu bringen. Davon profitieren vor allem auch Schwächere. Insofern wäre das für mich ein gesellschaftliches Vorbild.“

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Über die Zimmerei Grünspecht eG

Die Zimmerei Grünspecht eG, gegründet 1984, ist ein Pionier im ökologischen Bauen und in der nachhaltigen Unternehmensführung. Besonders mit spezialisierten Leistungen wie strohgedämmten Gebäuden und Holzbau, setzt die Zimmerei Maßstäbe in der Branche. Zum Aufgabenbereich gehören Dachsanierungen, Modernisierungen ganzer Altbauten mit allen Gewerken, Neubau in verschiedenen Holzbau-Systemen und mit zusätzlicher Spezialisierung auf strohgedämmte Gebäude, Anbauten, Aufstockungen, Kleinaufträge, Schreinerarbeiten sowie die Sparte als Lehmbaubetrieb. Die genossenschaftliche Struktur fördert Teamarbeit, Mitbestimmung und eine starke Bindung an die gemeinsamen Werte von Nachhaltigkeit und Qualität.