Weltweites Leuchtturmprojekt für die Zementherstellung aus Mergelstetten 24. November 20239. Januar 2024 (v. l. n. r.) Jürgen Thormann, technischer Geschäftsführer Schewenk/CI4C; Leonie Müther, Neue Technologien Schewenk/CI4C; Thomas Marwein MdL; Martin Grath MdLKönnte das Forschungs- und Entwicklungsprojekt catch4climate (C4C) aus Mergelstetten mit klimaneutralem Zement die globale Baubranche revolutionieren und so massiv zum Klimaschutz betragen? Um das herauszufinden, besuchten der Heidenheimer Landtagsabgeordnete der Grünen Martin Grath MdL und sein Parteikollege und Mitglied des Verkehrs- und Europaauschusses Thomas Marwein MdL (Wahlkreis Offenburg) jetzt die in Mergelstetten entstehende CO2-Abscheide-Anlage.„Wenn man bedenkt, wieviel auf der ganzen Welt in den kommenden Jahrzehnten gebaut werden wird, wird schnell klar: Die Zementherstellung muss nachhaltiger werden.“ MdLMartin GrathKohlendioxid reduzieren und einfangenDie zunehmende Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre erwärmt die Erde mit fatalen Folgen. Um dem Klimawandel entgegenzuwirken, muss das bedeutendste Treibhausgas Kohlenstoffdioxid, kurz CO2, drastisch reduziert werden. Weltweit werden jährlich mehr als 4,5 Milliarden Tonnen Zement hergestellt. Dabei entsteht immer CO2. Eine vernünftige Alternative für den in Massen eingesetzten Baustoff ist nicht in Sicht. Umso wichtiger erscheint langfristig eine nachhaltige Zementproduktion. Dies wiederum ist nur möglich, wenn es gelingt, das CO2 einzufangen und als Rohstoff einzusetzen oder zu lagern. Genau daran wird vor Heidenheims Haustür gerade geforscht. Hierfür haben sich die vier europäischen Zementhersteller Buzzi Unicem – Dyckerhoff, Heidelberg Materials, SCHWENK Zement und Vicat zur Forschungsgesellschaft CI4C (Cement Innovation for Climate) zusammengeschlossen. Spürbar für das Projekt begeistert, erklärt der technische Geschäftsführer des Joint Ventures Jürgen Thormann, wofür die Forschungs- und Entwicklungsanlage in Mergelstetten gebaut wird. Die Inbetriebnahme ist noch im Jahr 2024 geplant.Globaler Bauwahn nicht zu stoppenChina, Indien und immer mehr auch Afrika holen nach was Europa längst hatte: In großem Stil bauen. Der Aufbau einer modernen Infrastruktur wird auch in diesen und anderen Ländern zu einem erheblichen Baubedarf führen. „Unser Ziel besteht darin, eine Technologie zu entwickeln, die es ermöglicht, dass CO2 nicht mehr in die Atmosphäre emittiert wird. Wir möchten als Vorbild vorangehen und diese Technologie auch anwenden“, sagt Thormann. Politik soll Rahmenbedingungen schaffenDas neue Herstellverfahren führt zu nachhaltigeren Zementen, die nach wie vor die hohen Anforderungen auch an die Qualität erfüllen müssen. Die Wirksamkeit des Prozesses kann nur im Rahmen der Forschung und Entwicklung ermittelt werden. Das Ziel ist net zero zu erreichen, dabei werden die Produktionskosten steigen. Die Kosten für CO2-Zertifikate werden in den kommenden Jahren weiterhin steigen, sodass sich für viele Hersteller die Notwendigkeit ergibt, mit technischen Lösungen CO2-Emissionen zu mindern. Die Wettbewerbsfähigkeit wird von der Effizienz der entwickelten Verfahren abhängen. Grath führt aus, dass Importe, die nicht den in der EU vorgeschriebenen nachhaltigen Produktionsmethoden entsprechen, zur Aufrechterhaltung der Wettbewerbsfähigkeit mit Ausgleichszahlungen beaufschlagt werden. Neu und bisher einzigartig: die Pure-Oxyfuel-VerbrennungDas Joint Venture CI4C investierte mehr als 120 Millionen Euro in die Forschungs- und Entwicklungsanlage, die erstmals das sogenannte Pure-Oxyfuel-Verfahren nutzt, um das bei der Zementproduktion entstehende CO2 abzuscheiden. Viele Industriezweige brauchen Kohlenstoff. Im Oxyfuel-Verfahren wird der Brennstoff in reinem Sauerstoff statt in normaler Luft verbrannt, was zu einem Abgas mit hohem CO2-Gehalt führt. Dieses CO2 lässt sich dann leichter abscheiden und speichern oder weiterverwenden.Was geschieht mit abgeschiedenem Kohlendioxid?Das aus der Zementproduktion abgeschiedene CO2 muss entweder weiterverarbeitet werden, dieser Prozess heißt CCU (Carbon Capture and Utilization), oder in zugelassene Speicherstätten gebracht werden, im Fachjargon CCS (Carbon Capture and Storage). CO2 aus Süddeutschland per Bahn oder Schiff in nördliche Länder zu schaffen, wo Lagerung in Frage käme, ist aktuell noch eine große Herausforderung. Bleibt also die Möglichkeit, das CO2 direkt am Entstehungsort zu verarbeiten.Zukunftsvision: klimafreundlich fliegen Im Rahmen eines von SCHWENK geplanten Folgeprojektes ist vorgesehen, das mit der Pure-Oyxfuel-Anlage abgeschiedene CO2 künftig zu nutzen, um klimafreundliche synthetische Kraftstoffe herzustellen, wie beispielsweise sogenanntes Sustainable Aviation Fuel (SAF) mit dem ein Flugzeug klimaneutral – oder „net zero“ – fliegen kann. Überraschende Hürde aus BrüsselDie EU-Kommission erlies zwei Rechtsakte zu Treibstoffproduktion mit grünem Strom einerseits und mit abgeschiedenem CO2 andererseits. Mit strengen Auflagen hinsichtlich der Erzeugung von grünem Wasserstoff (ein Hauptbestandteil von SAF) mit erneuerbaren Energien zu erzeugen, muss die großangelegte SAF-Produktion für SCHWENK eine weitere Hürde aufnehmen. Mehr noch, CO2 aus der Zementherstellung gilt laut diesen EU-Rechtsakten nicht länger als nachhaltig und darf jetzt nur noch bis 2040 verwendet werden.Was nun? Nach 2024 wird die Produktion von nachhaltigem Flugtreibstoff weiterhin mit CO2 aus biogenen Quellen und aus der direkten Luftabscheidung – oder Direct Air Capture (DAC) – erlaubt sein. Von diesen beiden CO2-Varianten gibt es am Schwenk-Standort aber nicht genug. SCHWENK müsste nun einen Weg finden, das CO2 aus der Zementproduktion zu CCS-Speicherstätten zu transportieren und umgekehrt CO2 aus biogenen Quellen und DAC nach Mergelstetten zu schaffen. Die neue Vision: SAF mit net-zero CO2-BilanzEin bilanzieller Ausgleich von biogenem/DAC-CO2 mit abgeschiedenem CO2 aus der Zementproduktion könnte zur Lösung beitragen. „Dem Klima ist es letztendlich egal, woher das CO2 kommt“, erklärt Thormann. So könnte SCHWENK das eigene CO2 vor Ort verarbeiten und durch die Verrechnung mit biogenem CO2 dem SAF einen grünen Fußabdruck verleihen. Die rechtlichen Rahmenbedingungen dafür müssten allerdings erst geschaffen werden. Der grüne Wasserstoff käme aus dem Wasserstoffkernnetz, das sich voraussichtlich bald im Bau befinden wird. Wie Thormann betont, soll diese Vorgehensweise jedoch keineswegs die CO2-Pipeline ersetzen, auf die andere industrielle Akteure angewiesen sein werden.Kohlenstoff reduzieren heißt Klima schützenGlobal werden in absehbarer Zukunft große Mengen an Zement gebraucht werden. Ziel des Konsortiums CI4C mit dem Forschungs- und Entwicklungsprojekt catch4climate ist, dass in Zukunft ein möglichst großer Teil der globalen Zementindustrie CO2-Capture-Technologien einsetzt. Dem Klima zuliebe. „Wenn man bedenkt, wieviel auf der ganzen Welt in den kommenden Jahrzehnten gebaut werden wird, wird schnell klar: Die Zementherstellung muss nachhaltiger werden“, so Martin Grath zum Abschluss. „Wir haben heute gesehen, wie bemerkenswerte Innovationskraft aus unserem Kreis Heidenheim einen echten Unterschied für den Klimaschutz machen kann – und zwar global.“